Doctor Fausti Weheklag und Höllenfahrt

Das Habe-nun-Ach für Angewandte Poesie.

Johndonnerstag 2: Gestern sank die Sonne hin und ging doch wieder auf

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Obligates Update zu Johndonnersag 1: Goe, and catche a falling starre:

Cover Loves Alchymie, 2010Wie meiner werten Auftraggeberin Hille Perl bei Lieferung der Übersetzungen für die Dowland-Vertonungen für ihre eigene Präsenz versprochen, hab ich mich an einen Extended Remix — das ist: eine Übersetzung aller fünf Strophen des Song II statt nur der üblichen und für die CD eingesungenen drei gesetzt. Und siehe: Es verträgt die Länge ganz gut. Meines Wissens ist das jetzt die einzige einigermaßen zugängliche deutsche Version des vollständigen Gedichts. Man korrigiere mich notfalls, aber die Reste von Vordtriede bringen es gar nicht und Koppenfels nur dreistrophig.

Wie lebendig John Donne ist, hat spätestens die Perl-Santana-Mields-Sirius-Viols-Sammlung über John Dowland Loves Alchymie 2010 gezeigt. Da werden sich Exzellenz wohl noch wünschen dürfen, dass eins seiner schönsten Gedichte wenigstens einmal vollständig irgendwo steht.

——— John Donne,
nach 1604, veröffentlicht 1633:

Song II

Sweetest love, I do not go,
     For weariness of thee,
Nor in hope the world can show
     A fitter love for me;
          But since that I
At the last must part, ‚tis best,
Thus to use myself in jest
     By feigned deaths to die.

Yesternight the sun went hence,
     And yet is here to-day;
He hath no desire nor sense,
     Nor half so short a way;
          Then fear not me,
But believe that I shall make
Speedier journeys, since I take
     More wings and spurs than he.

O how feeble is man’s power,
     That if good fortune fall,
Cannot add another hour,
     Nor a lost hour recall;
          But come bad chance,
And we join to it our strength,
And we teach it art and length,
     Itself o’er us to advance.

When thou sigh’st, thou sigh’st not wind,
     But sigh’st my soul away;
When thou weep’st, unkindly kind,
     My life’s blood doth decay.
     It cannot be
That thou lovest me as thou say’st,
If in thine my life thou waste,
     Thou art the best of me.

Let not thy divining heart
     Forethink me any ill;
Destiny may take thy part,
     And may thy fears fulfil.
          But think that we
Are but turn’d aside to sleep.
They who one another keep
     Alive, ne’er parted be.

Lied II

Liebste mein, Süßeste, nein,
     Ich scheide nicht aus Überdruss
Und Hoffnung, dass die Welt mir ein
     Besseres Lieben bieten muss;
          Doch weiß ich, dass
Ich sterbe im Ernst,
Und übe vorerst, damit du’s lernst,
     Das Sterben nur zum Spaß.

Gestern sank die Sonne hin
     Und ging doch wieder auf:
Ganz ohne Ziel, ganz ohne Sinn,
     Mit halb so weitem Lauf.
          Drum gib nicht verloren
Die schnellere Reise, die ich begann,
Denn im Vergleich lege ich an
     Viel schnellere Flügel und Sporen.

Ach, wie schwach der Mensch, der ringt,
     Bleibt, wenn ihm auch das Glück zufällt,
Und keine Stunde wiederbringt
     Noch ihrer eine zugesellt.
          Doch wenn es sich wendet,
Machen wir uns mit Macht und Dauer
Unser Unglück doppelt sauer,
     Bis es noch schlimmer endet.

Wenn du seufzest, seufzt kein Wind –
     Meine Seele seufzt da im Entschweben;
Wenn du weinst, unseliges Kind,
     Versiegt all mein Blut und mein Leben.
          Doch glaub ich dir,
Dass du mich, so wie du sagst, liebst –
Denn wenn du in deinem mein Leben hingibst,
     Dann bist du das Beste an mir.

Glaub nie in deinem ahnungsvollen
     Herzen an die Gefahr,
Ich könnte je etwas Böses uns wollen,
     Sonst macht dein Schicksal Ängste wahr.
          Glaub lieber, dass die,
Die nur schlafend anderweitig
Sich kehren und durch sich gegenseitig
     Leben, die trennen sich nie.

Dieses Luminarium überhaupt, es rockt ungemein. Was allein im Donneschen Song II für Lieder drinstecken, von denen der teure Verstorbene nichts wissen konnte.

Der Anklang am Anfang ist seinerseits schon wieder in Vergessenheit, weil es ein schon angegrautes Lied von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung ist (Neppomuk’s Rache, 1990):

Arrivederci, ciao, ciao, mon amour,
wie konnte ich mich nur erdreisten?
Du bist mir zu kostbar, zu gut eine Spur,
ich kann mir dich nicht mehr leisten.

Arrivederci, ciao, ciao, mon amour,
ich weine nicht, wenn ich scheide.
Arrivederci, ab jetzt wein ich nur
noch, wenn ich Zwiebeln schneide.

Das hört erst auf mit The only thing that looks good on me is you (irgend so ein Bryan Adams), „all mein Blut und mein Leben“ ist selbstverständlich das Ännchen von Tharau, Anfang dritte Strophe ist „When you’re smiling“ – Louis Armstrong, späterhin als Dixieland-Standard missbraucht – und die letzte Strophe riecht mir stark nach Love Me Tender. Das Allerbeste an dem ganzen Extended Remix ist der Anfang zweite Strophe. Herrschaften, hoffentlich ist das ein Original von mir. Das hat fühlbar — durch Donnes Verdienst — die Qualität von „Das ist nicht die Sonne, die untergeht, sondern die Erde, die sich dreht“, der Sokrates-Zuschreibung durch Tomte. Das will ich singen können.

Die Überschrift heißt aus gleichen Gründen wie beim ersten Song („Goe and catch a falling star“) Lied statt Song, klar. Im übrigen veröffentliche ich hier meine Versuche nach einer angemessen Zeitspanne, weil weder Hille sie verwendet noch Sony sie bezahlt hat, und da inzwischen wohl auch nichts mehr nachkommt.

Bild: Cover Loves Alchymie, 2010.

Soundtrack: John Dowland auf John Donne: Sweetest Love I Doe Not Goe,
aus: Hille Perl, Lee Santana, Dorothee Mields, Sirius Viols, a. a. O., 2010:

Written by Wolf

22. Juni 2023 um 00:01

Veröffentlicht in Ehestand & Buhlschaft, Renaissance

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